Budokan Linz e.V. | ||||||
Shotokan Karate seit 1987 | ||||||
(Ein Artikel von Alexander Breitner) Ich werde in mehreren Abschnitten versuchen, die Ursprünge und die Intention unseres Kampfsystems darzulegen. Diese Darstellung lehnt sich an mehrere Bücher an, die am Ende des Artikel aufgeführt sind. Mehrere Kampfstile, eng verbunden mit Religionen und Wissenschaft, stellen die Grundlagen des Karate dar. Die Begriffe des Kampfes und der militärischen Künste besitzen in China, Japan, Korea und Vietnam einen völlig anderen Sinn als in der westlichen Welt: Nicht der Sieg über den Gegner ist das Ziel des Studiums, sondern der Sieg über sich selbst, die Überwindung der eigenen Schwächen und Mängel. Asiatischer Kampfsport ist eine Schule des Lebens, in der die seelisch–moralische Vervollkommnung des Menschen im Mittelpunkt stand und heute noch steht. DIE WURZELN DES MODERNEN KARATE Grundsätzlich unterscheiden wir das Karate aus Okinawa von dem daraus entwickelten – also noch relativ jungen – japanischen Karate. Die Ursprünge für beides liegen im chinesischen Kempo. Okinawa – die größte der Ryukyu-Inseln im Süden der japanischen Inseln — war die Heimat vieler Flüchtlinge aus Japan, China und Korea. 1372 erkannte der dortige König Satsudo die Oberhoheit des chinesischen Kaisers an. Ausgesuchte, regimetreue chinesische Siedler wurden auf die Inseln entsandt. Sie hatten die Aufgabe, die Okinawaner in den Grundkenntnissen der Seeschifffahrt, dem Buchdruck und anderen Handwerken zu unterrichten. Auch wenn diese Siedler abgeschieden in eigenen Gemeinden lebten, verbreiteten sie allmählich auch das Kempo. Diese japanische Bezeichnung umfasst sowohl den chinesischen Faustkampf (orig. chin.: „Quanfa“: die Lehre der Faust) als auch den bewaffneten Kampf. 1429
vereinigte König Sahashi die drei Gebiete Okinawas: Hokuzan, das nördliche
Gebirge, Nanzan, das südliche, und Chuzan, das mittlere Gebirge. Um
jeglichem Widerstand vorzubeugen, verbot er allen, mit Ausnahme der
königlichen Truppen und der Feudalherren, das Tragen von Waffen. Daher
suchten die Bauern, die der Willkür der Soldaten und Beamten, sowie den
Überfällen von Banden ausgeliefert waren, ihre Rettung im Kempo. 1609
wie schon 1588 wurde eine Jagd auf Schwerter veranstaltet, nachdem Bauern
die Steuereintreiber getötet und einige Samurai–Konvois geplündert hatten.
Jeder, der sich im Besitz einer scharfen Waffe befand, wurde hingerichtet.
Schmieden wurden geschlossen und Eisengegenstände verboten. Jedes Dorf
durfte nur noch ein Messer besitzen. Kempo hieß zu dieser Zeit Okinawa–Te (jap.: „Te“ = „Hand“, d.h. „Nahkampf von Okinawa“) oder To-Te („die Wunderhand“). Auf Okinawa hatte der Te-Stil in den Städten unterschiedliche Namen: Naha–Te, Shuri–Te und Tomari–Te. Während des 17. Jh.s agierten diese Schulen im Untergrund. Die Schüler
legten einen Blutsschwur ab. Verriet jemand unter der Folter die Kameraden
an den japanischen Feudalherren, so erwartete ihn ein brutales Ende: Man
ritzte ihm die Haut ein und warf ihn auf dem Meer über Bord, wo er von den
Haien zerrissen wurde. Diese Übungen gingen einher mit der Beherrschung alter und neuer Formen von Handwaffen. Hierzu zählen Bo (der Stock) und das Nunchaku (zwei kurze Stöcke mit Riemen, ähnlich einem Dreschflegel). Hinzu kamen Tonfas (Holzstangen mit einem Griff), Kamas (kleine Sicheln) und schließlich Sais, die einer Mistgabel ähneln – Die Okinawaner waren schließlich Bauern. Alles zusammen, das Kämpfen mit und ohne diese Waffen, bildet in der Neuzeit das Kobudo, die kleinen Kampfkünste. Der Begriff Karate taucht öffentlich erstmals 1722 auf. Auf dem Berg Shuri auf Okinawa gründete Sakugawa, der in China Kempo und Bojutsu (Stockkampf) studiert hatte, eine Privatschule mit dem Namen Karate-no Sakugawa. Ursprünglich wurde das Wort „Karate“ auf Okinawa in zwei Schriftzeichen
wiedergegeben: „Kara“ wörtlich: „China in der Regierungsperiode der Tang-Dynastie“,
im erweiterten Sinne „großes China“, und „Te“ für „Hand“. Früher bedeutete
das Zeichen auch „Zweikampf“. Gichin Funakoshi (Begründer des Shotokan-Stiles) besetzte das Zeichen „Kara“ neu mit der Bedeutung: „Lehre“
oder auch „Himmel“. 1848 verlieh man Sokon den Titel des obersten Kampfkunstlehrers Okinawas. Er propagierte ein hartes und kraftvolles Karate, welches vom klassischen alten Shaolin–Kung Fu geprägt wurde. Es bewährte sich aber nicht mehr beim Zusammentreffen mit bewaffneten Gegnern. Die Hauptanforderungen waren Schnelligkeit, Spontaneität, Kraft und eine genaue Kenntnis der Basistechniken. Sein Schüler Asato Anko verfeinerte die Techniken mit dem Wechsel von Angriff und Zurückweichen unter Einsatz von Wendungen, Neigungen und Ablenkungsmanövern. Alle Gründer der heute führenden Schulen waren selbst Schüler von Asato:
Gegen Ende des 19. Jh.s bildeten sich endgültig zwei Hauptrichtungen des Karate heraus. Eine Richtung entwickelte vor allem Schnelligkeit, Kraft, Exaktheit und Heftigkeit. Dieser Stil nennt sich Shorei-Ryu (Erleuchtete Seele). Maßgeblich für diesen Stil sind schwankende Bewegungen und vorgetäuschte Aktionen. Dieser Stil ist leicht und sehr beweglich und schenkt der moralischen Erziehung der Menschen erhöhte Aufmerksamkeit. Einige Shotokan-Katas stammen direkt von diesem Stil ab:
In der Praxis wurde
das Karate des 20. Jh.s mit seiner traditionellen Weltanschauung des Zen,
die sich jedem Milieu und Gesellschaftsstruktur anzupassen vermag, stets für
die Interessen der herrschenden Macht ausgenutzt. Es diente immer treu der
Regierung und dem Gesetz. In der Meiji-Epoche
(1868-1912),
in der die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, widmete man der
körperlichen Ertüchtigung der Schüler in den Mittelschulen erhöhte
Aufmerksamkeit. Medizinische Untersuchungen der Jugendlichen auf Okinawa,
die von Kindesbeinen an Karate betrieben, ergaben, dass diese eine
erstaunliche Proportionalität des Körperwuchses, körperliche Kraft und
Ausdauer besaßen.
DIE ENTSTEHUNG DER MODERNEN STILRICHTUNGEN
Seit 1905/06 organisierte Gichin Funakoshi mehrere Jahre lang zusammen mit Freunden,
Demonstrationsauftritte in der Öffentlichkeit, die ersten ihrer Art. 1912
trat die Gruppe systematisch in den Sälen von Shiri und Naha (Städte auf
Okinawa) auf . Zu diesem Zeitpunkt hatte man in Japan schon viel von Karate
gehört. Funakoshi erhielt eine Einladung, diese Sportart am Tokyoter Palast
für Kampfmoral zu präsentieren. Dort demonstrierte Gichin Funakoshi Karate
zum ersten Mal vor den Augen des Kronprinzen und späteren Tenno (Kaisers)
Hirhito.
Später wurde sie erweitert zu den heute bekannten "20 Regeln des Gichin Funakoshi" Sunzi (chin. Heerführer 5. Jh. v.Chr.) stellte einmal fest: „Wenn du deinen Gegner kennst, und dich kennst, es wird keine Gefahr bestehen. Wenn du dich kennst, aber ihn nicht, dann wirst du einmal siegen und einmal verlieren. Wenn du dich nicht kennst und ihn nicht kennst, dann wirst du jedes Mal, wenn du kämpfst, eine Niederlage erleiden. Doch in hundert
Kämpfen hundertmal zu siegen, das ist noch nicht die höchste Kunst. Den
Gegner ohne Waffe zu besiegen, das ist die höchste Kunst. Wenn ein wilder
Vogel angreift, dann stürzt er herab wie ein Stein, ohne die Flügel
auszubreiten. Wenn ein wildes Tier angreift, dann sitzt es erst still und
spitzt die Ohren. So auch der Weise: Wenn er eine Handlung ausführen will,
dann scheint er leicht zu zögern.“ Der zweite Weltkrieg brachte für das japanische Karate dadurch große Veränderungen, dass er Anlass zur Entstehung neuer Schulen und Modernisierung alter Schulen gab. Im Shotokan zeichneten sich zwei Strömungen ab: Nakayama, Kase, Nishiyama und Funakoshi der Jüngere legten besonderen Wert auf das Ausfeilen der Techniken, auf korrekte Ausführung und sportliche Parameter. 1957 gründeten die Shotokan-Meister mit Nakayama Masotoshi — einem der besten Schüler Funakoshis Senior — den japanischen Karate-Verband (Japanese Karate Association, JKA, heute in Deutschland als DJKB). Die andere Richtung des Shotokan, die gegen die sportliche Ausrichtung auftrat und die politischen und ideologischen Absichten des JKA nicht für gut befand, trennte sich vom JKA und schuf als eigene Organisation „Karate International“ unter der Leitung von Kanazawa Hirokasu. Sie versuchte, zu den Ursprüngen des Karate und zur mystischen Natur des Kempo zurückzukehren.
► Shotokai Die entschlossensten Meister, die nach der Erhaltung des Geistes des Budo strebten, trennten sich schon 1956 vom Shotokan. Sie lehnten die sportliche Professionalisierung und kommerzielle Vermarktung unter der Leitung des Shotokan ab. Sie gründeten die Schule des Shotokai unter der Leitung von Egami Shigeru. Shotokai lehnt die groben Kraftübungen und Biege(-bruch)-tests harter Gegenstände ab und legt besonderen Wert auf den energetischen Aspekt und die innere Konzentration. Es überwiegen flüssige Bewegungen, die den weichen chinesischen Stilen (Wing Chung) sehr ähneln.
► Goju-Ryu, Shito-Ryu und Wado-Ryu Parallel zur Eröffnung von Funakoshis Dojo in Tokio gründet Kenwa Mabuni ebenfalls eine Shotokan-Schule unter der Bezeichnung Shito-Ryu. Fast gleichzeitig gründet Chojun Myagi seine Schule des Goju-Ryu. Myagi und Mabuni waren beide Schüler des Higaonna, Lehrer des Shorei-Stils Naha-Te. Die Goju-Ryu-Schule unterlag seit ihrer Gründung im Jahre 1930 wesentlichen Wandlungen. Myagis Nachfolger wurde Gogen Yamaguchi. Er liebte die formalen Übungen energetischer Katas wie Sanchin. Dem Training der Atmung maß er große Bedeutung bei, denn sie steuert den Wechsel von weichen, harmonischen und explosiven Phasen, langsamer, schneller und zielstrebiger Bewegung (Wechsel von „go“ und „ju“, hart und weich). Nach Yamaguchis Tod büßte diese Schule an Glanz
ein, doch führen seine drei Söhne diesen Stil weiter fort (in Deutschland
Fritz Nöpel, 8. Dan).
► Kyokushinkai Erwähnt sei hier auch Oyama Masutatsu. Er gründete die Schule des Kyokushinkai. Er stellte sich die Aufgabe, Kraft, Ausdauer und die Durchschlagkraft des Körpers maximal zu entwickeln. Diese Fähigkeiten demonstrierte er unter anderem dadurch, dass er Anfang der fünfziger Jahre rund 50 Stiere mit der bloßen Hand tötete. Auf einer Gastspielreise in den USA erregte er Aufsehen, weil er Bierflaschen den Hals abschlug und Pflastersteine mit den Fingern durchbohrte. Wesentlich ist die Übernahme von Stellungen aus den chinesischen Schulen.
Allen Stilrichtungen gleich sind die Graduierungen: Schülergrade bis zum 1. Kyu, Dangrade von 1 bis 10, ab dem 5. Dan bekommt man den Renshi, schwarzen Gürtel, mit einem roten Band. Nur etwa 20 Menschen auf der Welt besitzen den 9. Dan (Shihan: höchster Lehrer, sie leiten das gesamte Ryu, d.h. die Schule oder Stilrichtung) oder 10. Dan (Saikoshihan). Wichtig bleibt bei der derzeitigen Entwicklung des Shotokan festzustellen, inwieweit sich unser heutiger moderner Stil von den Ursprüngen entfernt hat. Ob dies nun positiv oder negativ zu beurteilen ist, mag jeder für sich selbst entscheiden.
Benutze Literatur: Alexander Dolin: Kempo, die Kunst des
Kampfes. Komet, 1999.
|
||||||